Ganz still und heimlich
Original-Vortrag von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.326

1.
So mancher mahnt die Leut'
„Lebt recht bescheiden heut'.
Dämmt eure Wünsche ein –
schlemmt nicht bei Bier und Wein.“
Doch – unter uns – mir schwant:
So mancher, der uns mahnt,
weiß auch, was gut schmeckt.
Isst Hummern und trinkt Sekt
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich –

2.
Wer jung und arbeitslos,
der schreit: „Ach, helft mir bloß!“
Er ist ein alter Brauch:
Wer schreit, dem gibt man auch.
Doch was tun alte Leut',
so kleine Rentner heut'?
Die trag'n ihr Weh und Leid
in tiefer Einsamkeit.
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

3.
Ein Wuch'rer war D.U.
im Kriege immer zu.
Der sprach das große Wort:
Ich übte keinen Mord,
bracht' niemand um im Krieg.“ –
Jedoch der Mann verschwieg,
dass er hier manches Jahr
ein Halsabschneider war.
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

4.
Um eins ist Wirtshaus-Schluss.
Wohl jeder gehen muss.
Doch manches Weinlokal
eröffnet dann noch mal.
Der Gast kommt aus dem Haus
um eins von vorne raus
und geht beim Mondenschein
Halb zwei von hinten rein.
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

5.
in jedem Café hier
sitzt jemand am Klavier,
der auf die Tasten haut,
nie richtig, aber laut.
Wie schön wär's, man erfänd'
ein neues Instrument,
das keinen andern stört,
dass nur der Spieler hört
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

6.
Es trat, weil's abgeschafft,
das Trinkgeld außer Kraft.
Es gibt nun festen Lohn –
und trotzdem weiß man schon:
Laut hört man alle schrei'n:
„Ein Trinkgeld darf nicht sein!“
Doch mancher nimmt's gewiss,
wenn's nicht zu wenig is,
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

7.
'ne Tante hab' ich hier,
ist hm-zig Jahre schier.
Weiß nichts von Liebe mehr –
doch kürzlich staunt ich sehr:
ich ging zum Kino hin –
da saß die Tante drin,
fühlt sich noch einmal jung
im Film für Aufklärung
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

8.
Es musst 'ne Tänzerin
jüngst vor dem Richter hin.
Ihr Nackttanz wurde dort
geprüft mit strengem Wort.
Besonders heftig war
ein junger Ref'rendar,
schrieb aus den Akten drauf
sich ihre Wohnung auf
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

9.
Es wohnt ein Mägdelein
bei Tage ganz allein –
doch zu der Abendzeit,
da fürchtet sich die Maid.
Ein braves Mägdelein
darf da nicht einsam sein.
Drum kommt ein junger Mann
und der beschützt sie dann
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.

10.
Es sagt 'ne Frau pikiert
zum Mann: „Ich bin blamiert.
Du nanntest mich 'ne Gans
vom ganzen Kaffeekranz.“
„Verzeih'mir,“ sagt er ihr,
„Sind wieder Damen hier,
dann nenn' ich Täubchen dich –
und dabei denke ich
Gans still und heimlich –
Gans still und heimlich.

11.
Stets wettert der Franzos'
von neuem auf uns los.
Er möcht', dass unser Heer
noch immer kleiner wär'.
Daraus ersieht man bloß:
Er ist so stark, so groß,
er reisst den Mund so weit –
und fürchtet uns noch heut'
Ganz still und heimlich –
Ganz still und heimlich.