Mir ham se als geheilt entlassen!
Burlesker Original-Vortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 361

(Der Vortragende ist unordentlich gekleidet, trägt eine Perücke mit ungewöhnlich hohem Schädel – in der Mitte Glatze, seitwärts und hinten wallendes, und gepflegtes Haar – und macht einen idiotischen Eindruck. Selbstverständlich brauchen nicht alle Strophen gesungen zu werden.)

1.
Ick falle uff bei groß und klein,
ick hab' ne ziemlich hohe Stirne.
Mit mir soll's nich ganz richtich sein,
man sagt, ick hätt' 'ne weiche Birne.
Zum Irrenhaus bracht' man mich hin –
da war'n schon Stücker sechs Insassen,
die sechse, die sind heut' noch drin – –
Mir ham se als geheilt entlassen!
 
2.
Ob ick jeheilt bin, weeß ick nich,
se könn's ja selber mal taxieren –
'ne Steuerrechnung kam für mich,
ick fand 'nen Fehler beim Addieren.
Zu wenig stand uff dem Papier,
ick stürmt nach alle Steuerkassen:
„Sie krieg'n ja noch zehn Mark von mir!“ – –
Mir ham se als geheilt entlassen!
 
3.
Een Taschenmesser hatt' ick früh'r,
'n Zigarr'nabschneider war daneben
und hintendran een Proppenzieh'r –
die Waffe hab ick abgegeben
ick sagt: „Ick schwärm' für'n Waffenschwund,
's gibt ja keen Streit mehr bei den Rassen,
dafür sorgt schon der Völkerbund“ – – –
Mir ham se als geheilt entlassen!

4.
Ick lebe gerne gut, wenn’t geht,
bin früher mal Rentier gewesen.
Jetzt hat sich's leider „ausrentiert“,
doch nächstens komm' ick uff de Spesen.
Ick hab' ja große Sicherung,
ick krieg' mein Geld zurück in Massen,
ick gloobe an de Aufwertung – – –
Mir ham se als geheilt entlassen!

5.
Ick kam in eene Schlägerei
und kriegte eens uff meine Birne.
Ick hab’ mir nich gewehrt dabei,
weil ick mir nich so leicht erzürne.
Ick hielt ganz still und dachte prompt:
„Im Oogenblick wird man euch fassen –
ick wart’ bloß, bis een Schutzmann kommt.
Mir ham se als geheilt entlassen!

6.
Für Bildung hab’ ick hohen Sinn,
ick lese gerne in de Zeitung.
In meinen Kopp, da geht wat rin,
ick hab’ ’ne ziemlich lange Leitung.
Ick les’ nich alles, wat erschien,
nich so ’ne Sachen, so ’ne krassen –
ick les’ den „Heitern Fridolin“. – – –
Mir ham se als geheilt entlassen!

7.
Een Mädel war schon oft verlobt
und sacht trotzdem, se hätt’ im Leben
noch nie jeküßt – ick hab’s gegloobt,
zur Hochzeit hat sie sich begeben.
Ick folgte ihr beim Hochzeitstanz
und sang ganz laut in allen Gassen:
„Wir winden dir den Jungfernkranz.“ – – –
Mir ham se als geheilt entlassen.

8.
Ick ging in een Theata hier,
ick seh’ sehr gerne solche Sachen.
Beim Lustspiel gräm’ ick meistens mir,
beim Trauerspiel, da mußt’ ick lachen.
Um sieben stand’n schon haufenweis
die Leut’ mit Bons an allen Kassen,
bloß ick bezahl’ den vollen Preis –
mir ham se als geheilt entlassen.

9.
(kann leicht lokalisiert werden.)
Ick bin jetzt oft uff eenen Fleck
Potsdamer Straße hier zu finden.
Man frug mich: „Gehn sie dann nich weg?“
Ick sagt: „Ick werde bald verschwinden,
ick will bloß Kurze Zeit geschwind
hier uff de Straße Posten fassen,
bis die mit Buddeln fertig sind.“ – – –
mir ham se als geheilt entlassen.

10.
Vor kurzem prüft’ man mir nochmal,
und stellte mir verschied’ne Fragen.
Man wollte seh’n, ob ick normal,
die deutsche Hauptstadt sollt’ ick sagen.
Ick dacht’: „Die Hauptstadt soll et sein“ –
und hatt’ keen Schimmer, keenen blassen –
da endlich fiel mir – Cottbus ein. – – –
Mir ham se als geheilt entlassen.

11.
Im Sommer fährt man gern wohin,
um seinen Urlaub mal zu feiern.
Ick dacht', weil ick een Preuße bin,
fahr' ick am liebsten mal nach Bayern.
Weil die die Preußen riesig lieb'n,
wollt' ick die Bayern froh umfassen –
die ham mir 'n Schädel eingetrieb'n
und ham mir als geheilt entlassen.

12.
Verheirat't war ick schon vier mal,
die erste lebte ungezüjelt,
die zweete machte viel Skandal,
die dritte hat mir oft vaprügelt,
die vierte floh mit eenem Mann
und tat mit ihm mein Geld verprassen. – – –
Jetzt schaff' ick mir die fünfte an – – –
mir ham se als geheilt entlassen.
 
13.
Ick hab `n ziemlich großet Maul,
doch sonst bin ick recht energielos,
zur Arbeet bin ick viel zu faul,
drum kooft ick mir een Lotterielos.
Die Lotterie war Lotterei,
ick spielte durch in alle Klassen.
Gewonn'n ham bloß Beamte – zwei – –
mir ham se als geheilt entlassen.
 
14.
Sonst jeht’s mir ziemlich angenehm,
ick könnt’ ja ooch da unten sitzen.
(auf die Zuschauer zeigend)
Da säß’ ick mollig und bequem
und brauchte nich hier oben schwitzen.
Wat bin ick bloß für een Idiot –
hier steh’ ick nu und schneid’ Grimassen –
sie schweigen, und ick schrei' mir dot – – –
Mir ham se als geheilt entlassen.

(Oder: Wat bin ich bloß für'n Idiot,
sie füll' sich Gläser da und Tassen,
(resp.: Sie schweigen da auf den Terrassen)
und  ick still hier und schrei' mir dot – – –
mir ham se als geheilt entlassen.)

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zusätzlich auf der Grammophon Aufnahme

Det ick schon alt bin, macht mir Schmerz,
nu las ick große Inserate:
„Wir schaffen dir ´n junges Herz!“
Drum fraß ich fleißig „Lukutate“
Jedoch mein Staunen war sehr groß:
Vorn war die Wirkung nicht zu fassen,
bei mir, da wirkt's von hinten bloß –
mir ham se als geheilt entlassen!