O Jugend, wie bist du so schön!
Original-Vortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 338

1.
Ich sing’ jetzt ein Lied auf die Jugend,
ich meine die Jugend von heut’.
Die Jugend hat gar keine Tugend,
ist nicht wie in früherer Zeit.
Die Kinder von heute entfalten
sich früh, weil sie alles versteh’n.
Die Jung’n unterrichten die Alten –
O Jugend, wie bist du so schön!

2.
Es sagte ein Vater und lachte,
zum zweijähr’gen Knirps: „Komm mal ran!
Schau her, was der Storch dir jetzt brachte,
ein Schwesterlein – sieh es dir an!“
Doch der sagt „Mach bloß kein Gemogel!
Die Schwester, die will ich nicht seh’n.
Nein, zeig mir den Storch mal, den Vogel!“ –
O Jugend, wie bist du so schön!

3.
Die Kinder spiel’n heut’ schon Theater,
Als wenn sie Erwachsene sind.
Ein Junge, drei Jahr, spielt den Vater –
die Schwester, zwei Jahr, kriegt ein Kind.
Ich sprach zu dem Jungen: „Du, Peter,
ihr müßt doch zur Hochzeit erst geh’n.“
„Nee“, sagt er, „die feiern wir später!“
O Jugend, wie bist du so schön!

4.
Will Mutter ihr Kind selbst ernähren,
so wie es befiehlt die Natur,
so'n Kind will von Milch nichts mehr hören,
es schwärmt für Liköre jetzt nur.
Zieht Mutter 'nen Knirps von der Größe
(Größe eines kleinen Buben andeutend)
ans Herze, das will er nicht seh'n.
„Halt!“ Schreit er, „Du gibst dir 'ne Blöße!“
O Jugend, wie bist du so schön!

5.
einst lebte so'n Kind streng geregelt.
Man ward überflügelt vom Sohn.
Heut wird man vom Sohn überflegelt –
heut schlägt nach dem Vater der Sohn.
So'n Knirps braucht Zigarr'n wie ein Krater
und muss er dann raus Gestöhn,
dann schenkte er den Stummel dem Vater.
O Jugend, die bist du so schön!

6.
Einst kriegten zur Weihnacht die Knaben
Als Spielzeug nen blechernen Zug
Heut woll’n sie ein Auto schon haben,
oder ’n richtiges Luftschiff zum Flug.
Die Mädchen, die leb’n noch geschwinder,
’ne Puppe woll’n die nicht mehr seh’n:
Heut denken die Kinder an Kinder -
O Jugend, wie bist du so schön!

6a.
Einst kriegten zur Weihnacht die Knaben
als Spielzeug ein kleines Gewehr.
Heut woll'n Sie ein richtiges haben,
sie zieh'n als Max Höltz dann umher.
Die Mädchen, die leb’n noch geschwinder,
’ne Puppe woll’n die nicht mehr seh’n:
Heut denken die Kinder an Kinder -
O Jugend, wie bist du so schön!

7.
Der Sohn und der Vater, die gehen
in’s Schauspielhaus mal miteinand’.
Der Sohn der sitzt – Vater kann stehen,
das Stück war sehr stark und pikant.
Drum sagt ihm der Sohn in der Pause:
„Ich möchte den Schluß gern noch seh’n!“
Und den Vater, den schickt er nach Hause,
O Jugend, wie bist du so schön!

8.
Die Mutter erwischt voller Schrecken
ihr Töchterlein mit 'nem Student.
„Was,“ sagt sie, „das muss ich entdecken?
Schnell machst du der Sache ein End.
Das nächste Mal weis ihm die Türe!“
„Ja,“ sagt die – und so ist's gescheh'n. –
Sie weist ihm die Tür – aber Ihre –
O Jugend, wie bist du so schön!

9.
Ein Vater poussiert mit 'nem Mädel –
der Sohn, achtzehn Jahr, schleicht zu ihr,
vertreten diesem Mädel den Schädel.
Der Storch kommt – wer kann nun dafür?
Der Alte klopft sich auf den Schenkel
und denkt, als das Kind er geseh'n:
„Ist das nun ein Sohn oder 'n Enkel?“
O Jugend, wie bist du so schön!

9a
Ein Vater, noch rüstig an Jahren
poussiert mit ’ner liebenden Maid.
Der Sohn, achtzehn Jahr’, hat’s erfahren,
schleicht hin zu ’ner anderen Zeit.
Poussieren und Küssen, das tat er,
„Ach schenk mir was!“ hört er sie fleh’n.
„Nee“ sagt er, „bezahl’n tut der Vater“ -
O Jugend, wie bist du so schön!

10.
Die Jungen sind heut beim Krakeelen,
beim raufen, beim saufen dabei.
Sie dürfen mit Zwanzig schon wählen –
die wähl'n schon die richt'ge Partei –
Komm'n jedem sehr dreist ins Gehege –
bloß, wenn Sie die Arbeit mal seh'n,
der gehen sie sehr leis aus dem Wege –
O Jugend, wie bist du so schön!

11.
Das Leben der Jugend, das rächt sich:
Betrachtet man heute ’nen Sohn,
der fühlt sich mit sechzehn wie sechzig,
mit siebzehn wie siebenzig schon.
Das Leben genießen die Eltern,
die Jungen hab’n schon alles geseh’n,
die Jünger’n sind heute die Älter’n -
O Jugend, wie bist du so schön!

11a.
Das Leben der Jugend, das rächt sich:
Betrachtet man heute ’nen Sohn,
der fühlt sich mit sechzehn wie sechzig,
mit siebzehn wie siebenzig schon.
Der Vater hat noch keine Glatze,
kann rüstig durchleben noch gehn –
und der Sohn ist schon steif und hat se –
O Jugend, wie bist du so schön!

12.
Die Kinder, statt vorwärts zu streben,
die haben das Leben schon seit,
bring'n oft, wenn nichts, sich ums Leben,
so jung – und schon müde und matt.
Das Leben genießen die Eltern.
Die Jung'n hab'n schon alles geseh'n,
die Jünger'n sind heute die Älter'n –
O Jugend, die bist du so schön!

(Der Vortragende geht nach diesem Couplet ab, kommt dann nach dem – hoffentlich –
applaudiert wurde, wieder heraus und spricht ernst und entrüstet:)

Dakapo

Ja, diese Jugend! – Erst lacht man darüber –
aber später, da weint man lieber.
Je älter, je mehr verschlechtern,
sind statt solide – so liederlich.
Ich mein natürlich nicht alle, die hier sich ergötzen –
die braven, die will ich nicht verletzen.
Aber viele könn'n bloß poussieren und lieben,
raufen und saufen, bummeln und schieben.
Die Töchter werd'n leicht, die Söhne werd'n Strolche –
vielleicht sind auch hier im Theater solche,
die den lieben Eltern viel Kummer machen.
Die braven Eltern hab'n nichts zu lachen.
Die guten Leute tun mir leid –
und diese Eltern frage ich heut:
„Müsste man dann nicht die Hand erheben,
solchen Kindern rechts und links eine Ohrfeige geben?“
Jawohl, das müsste man allerdings –
eine Ohrfeige rechts, die andere Links.
's ist doch nicht schön von unseren Töchtern und Söhnen,
sich alles schlechte so an zu gewöhnen –
(nachdenklich) – an zu gewöhnen – an zu gewöhnen –
da fällt mir ein:
Die könn'n nicht von selbst so geworden sein.
Nein, unsere Mädchen und unsere Knaben,
die müssen das doch schon gesehen haben –
gesehen haben – von wem denn bloß?
Nun, selbstverständlich, von dem, der groß!
'ne Pflanze, ein Tier, ein Kind, was man sieht,
das wird doch fast immer so, wie man's zieht.
Und wer zieht denn die Kinder? – Das sind doch wir!
Ja, dann können doch eigentlich wir dafür!
Dann sah'n Sie von uns das Poussieren, dass Lieben,
das Raufen, dass Saufen, dass Bummeln, dass Schieben –
Ei, da ist mir eben Einspruch im Ohr erklungen:
„Wie die Halten gesungen, so zwitschern die Jungen.“ –
Die werden durch uns nur schlechter und kesser,
singen wir besser, dann zwitschern Sie besser,
ändern wir uns erst einmal selber,
erst komm'n die Ochsen und dann die Kälber.
Wir dürfen den alten Weg nicht schlendern.
– – Ja, da muss ich wohl meine Verse ändern – –
Nun werd'n sich die Eltern nicht mehr amüsieren –
Jetzt werd'n wohl die Kinder applaudieren,
denn ich muss nun mehr schimpfen auf die Alten –
aber, die zwei Ohrfeig'n woll'n wir doch beibehalten.
Bloß, geb'n wir der Jugend nicht die schwerste –
nein, geb'n wir uns lieber selber die erste.

Schlussgesang

Wenn wir den Respekt uns erzwingen,
erst unsere Tugend erhöh'n,
dann werden wir jubeln und singen:
„O Jugend, wie bist du so schön!“

Die folgende Strophe entstammt dem handschriftlichen Nachlass Otto Reutters. Sie wurde
bisher noch nicht gedruckt. Vielen Dank an Siegfried Naujeck für das Auffinden.

13.
Ein Backfisch sagt leise, verschwiegen -
Zur Freundin: „Ich kenne den Brauch,
Wie wird man die Kinder einst kriegen - -
Und gerne erzähl ich's dir auch.“ -
„Ach, wie man die kriegt“, sagt die Kleine,
„Das ist nicht so schwer zu versteh'n. -
Doch ich weiß schon, wie kriegt man keine.“ -
O Jugend, wie bist du so schön!

14.
Es schleicht zu 'nem Mädchen nach neune -
Der Schatz oft ins Zimmer hinein. -
Das sieht dann ihr Bruder, der kleine -
Und schleicht, ungeseh'n, hinterdrein. -
Und wenn die beim Küssen dann grade, -
Dann sagt er: „Ich hab was geseh'n. -
Ich sag's – oder schenkt mir Schok'lade!“
O Jugend, wie bist du so schön!

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