Wir lieb'n uns zu sehr
Original-Vortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 381

1.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Wir gönn'n andern manches, uns gönnen wir mehr.
Wenn andre jetzt arm sind, dann liegt's an der Zeit,
Wenn wir was verlor'n hab'n, das tut uns sehr leid.
Zahl'n wir hohe Steuern, da tob'n wir nicht schlecht,
Doch trifft's nur die andern, das find'n wir gerecht.

2.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Mit uns hab'n wir Mitleid beim kleinsten Malheur.
Wir warten beim Zahnarzt und lesen im Blatt:
„Erdbeben! Zehntausend kam'n um in 'ner Stadt.“
Ja, dass Zehntausend umkomm'n, bedauern wir sehr,
Aber'n Zahn, der uns weh tut, der schmerzt uns noch mehr.

3.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Die Fehler der andern verstehen wir schwer.
Doch unsere Fehler versteh'n wir sehr fein –
Und alles verstehen, heißt alles verzeih'n.
Das Böse, das lächelnd an uns wir gewahr'n,
Geniert uns erst dann, wenn's die andern erfahr'n.

4.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
oft sind andre besser, der Tugend viel näh'r,
doch das woll'n wir nicht einseh'n, wir bleib'n ihnen fern,
sind voll Hochmuth zu Hause und haben uns gern.
Zu Zeiten allein sein, das lobe ich sehr –
aber man braucht doch auch manchmal 'nen bessern Verkehr.

5.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Nur uns und die Unsern, die schätzen wir höh'r.
Die Kinder der andern, die tadeln wir nie,
Aber unsre sind besser, viel netter als die -
Und mag unser Kind noch so hässlich ausseh n,
Sobald es uns ähnlich ist, finden wir's schön.

6.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Find'n uns schön in der Jugend, im Alter noch mehr.
Den Graukopf von andern, den woll'n wir nicht seh'n,
Aber die eigene Glatze, die finden wir schön!
Und wenn wir 'nen Bauch hab'n mit fünfzig Pfund Speck,
Dann nenn'n wir das „vollschlank" - und seh'n drüber weg.

7.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Wir komm'n nicht zur Heirat, die Wahl ist zu schwer.
'ne bessere Hälfte, die suchen wir hier,
Doch wir finden keine bess're - die bess're sind wir.
Wir könn'n 's gar nicht glaub'n, dass 's 'ne bessere gibt,
Wir sind eb'n zu sehr in uns selber verliebt.

8.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Auch andere zu lieben, sei unser Begehr.
Selbst das Tier soll'n wir lieben wie uns - ungefähr -
Ja, Austern und Hummern, die lieben wir sehr.
Wenn 'n Jockey ein Pferd schlägt, bedauern wir das Vieh,
Aber wenn wir drauf gesetzt hab'n, bedauern wir's nie.

9.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Wir sitzen im Zug das Abteil ist ganz leer.
Da kommt noch ein zweiter, dann sag'n wir: „Besetzt!"
Doch er setzt sich trotzdem und belehrt uns verletzt:
„Warum denn nur sich lieb'n, 's ist ja Platz noch für vier."
Und dann kommt ein dritter, macht's der zweite wie wir.

10.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Wir glaub'n,'s dreht sich alles um uns rings umher -
Wir glauben sogar, weil die Erde sich dreht,
Sie dreht sich um uns nur von morgens bis spät -
Die dreht sich um andre genau so geschwind -
Ja, die dreht sich sogar, wenn wir gar nicht mehr sind.

11.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr –
was sind wir? Wir sind nur ein Tropfen im Meer –
aber wir haben uns keck in die Mitte gestellt,
wir glauben, die Welt kam für uns auf die Welt –
wir sind nur ein Tröpflein in 'nem riesigen Topf –
Was wird aus dem Töpflein? Ein riesiger Topf.

12.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Wir spar'n nur für uns - für das Alter - nachher -
Und end'n wir zu früh - und das Geld liegt verwahrt,
Dann heißt's: „Er war brav, hat's den Seinen erspart."
Ja, wir wussten ja bloß nicht, wie lange wir leb'n,
Sonst hätten wir's vorher für uns ausgegeb'n.

13.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr,
Dass wir mal von dann'n gehn, bekümmert uns schwer.
Von uns uns zu trennen, erfüllt uns mit Beb'n -
Wie gut, dass wir nicht das Begräbnis erleb'n -
Denn wenn wir uns folgten zum letzten Quartier,
Dann wäre ja keiner so traurig wie wir.

14.
Wir lieb'n uns zu sehr - ja, wir lieb'n uns zu sehr -
Auch wir „Künstler", lieb'n uns, sonst käm'n wir nich her.
Wir lieb'n unsern Quatsch, uns gefällt er sehr gut,
Und wir spend'n uns 'n Kranz - weil's kein anderer tut -
Und mit dem Kranz gehn wir wandern, als wär'n wir weiß wer -
Denn wir sind wie die andern, wir lieb'n uns zu sehr.

(Am Schluss des Vortrages, wenn der Vortragende sich dankend verbeugt, kann ihm ein Kranz überreicht werden, dessen Schleife sehr auffallend die Inschrift trägt: „Seinem lieben . . . .  (folgt Name des Vortragenden) bewundern gewidmet von seinem . . . . .“ (abermals Name des Vortragenden). Die Musik spielt dazu einen disharmonischen Tusch, und der Vortragende geht mit dem Kranz gravitätisch ab.)

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