Der neue Reichstag
Original-Vortrag von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 245

1.
Die Reichstagswahlen sind vorbei,
zu Ende ist die Streitereien.
Das war ein Streiten kolossal,
denn wer die Wahl hat, hat die Qual.
Geschlagen ist die große Schlacht,
der Reichstag wurde aufgemacht,
und die Parteien, groß und klein,
die zogen in den Reichstag ein.
Voran der Präsidente,
der führt das Regimente.
Der ward im Parlamente,
zum zweitenmal gewählt.

2.
Der Präsident geht stolz wie nie,
der erste und der zweite Vi –
Zepresident geht hinter her,
und dann die Herren Schriftführer,
die komm'n mit großen Akten an,
darinnen steht, was man ersann
zu unseres Volkes Wohl und Heil.
(Ich glaub' noch nicht den zehnten Teil)
und dann die Herr'n der Rechten,
die furchtbar geschwächten,
die könn'n nicht, wie sie möchten.
Es fehlt manch teures Haupt.

3.
Der Rösicke ist abgetan,
und nach dem Hahn, da kräht kein Hahn,
und – Ach! – Zur Hälfte ging entzwei
die liebe Reichspartei – ei – ei –
es fiel sogar Herr Oldenburg
mit pauken und Trompeten durch.
Er kommt nicht mehr im Reichstag an
mit seinem Leutnant und zehn Mann.
Und dann die Zentrumsleute,
viel wen'ger sind's heute.
In Köln, da ging's sie pleite
und auch in Düsseldorf.

4.
Jawohl, der große Zentrumssturm
stand immer fest trotz Wind und Sturm.
Er steht noch heut – das ist gewiss –
doch zeigt sich schon ein großer Riss.
Die Schwarzen schließen Mann für Mann
sich alle an die Rechte an.
Trotzdem – das sieht ein Blinder heut –
hab'n sie 'ne kleine Minderheit – – –
und dann die Nationalen –
die leid'n die größten Qualen.
Die schielen nach den Wahlen
zugleich nach rechts und links.

5.
Nun treten andere in den Saal,
die sind „entschieden liberal“,
es fehl'n ein paar, es ist egal,
die warten bis zum nächsten Mal.
Doch hinter her, welch Menschenhauf,
der hört der gar nicht wieder auf –
statt blau und schwarz, wie sonderbar –
die rote Sozialistenschar.
Die füll'n den Saal alleene,
erst war'n sie ganz kleene –  –
jetzt sind es hundertzehne,
das reinste rote Meer.

6.
Nun geht es los, es sitzen drin
die Sozis bis zur Mitte hin.
Der Kanzler kommt und murmelt sacht:
„So hab ich mir das nicht gedacht.“
Geht's jetzt nicht gut, ich wette drauf,
ist man den Reichstag wieder auf –
und Bethmann Hollweg sagt alsdann:
„Wir fang'n nochmal von vorne an.“
Und dann, dann siegen wieder
die schwarz-blauen Brüder – – –
oder sie purzeln nieder.
Noch schlimmer wie vorher.

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