Der Geburtstagsonkel
Original-Soloszene, Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 216


(Der Vortragende erscheint als jovialer, etwa fünfzigjähriger Herr mit mehreren Kartons bepackt. – Auf einem großen gedeckten Tisch, sowie auf einigen Stühlen liegen die für den Vortrag erforderlichen, um stehend näher bezeichneten „Geburtstagsgeschenke“.)
 
Nr. 1 Auftrittslied:

Ach, mit Kisten und mit Kasten
komm’ ich hier hereingerannt.
Ich bin als Geburtstagsonkel
in der ganzen Stadt bekannt.
Wenn die Leut’ Geburtstag haben,
schenk’ ich ihnen dies und das.
Aufgespeichert sind die Gaben;
Onkel schenkt ’nem jedem was.
 
Überall mach’ ich Bekanntschaft,
riesengroß ist die Verwandtschaft,
in mein Zimmer komm’n sie immer.
Die Kusinen, die erschienen –
meine Brüder komm’n stets wieder –
meine Schwestern kam’n erst gestern. –
Jeder sagt ohn’ Unterlaß:
„Lieber Onkel, schenk’ uns was!“
 
Wie die Tanten nach mir rannten,
wie die Nichten nie verzichten,
wie die Neffen mich stets treffen,
wie die Schwagern mich umlagern,
wie die Basen nach mir rasen,
wie die Vettern mich vergöttern –
Jeder sagt ohn’ Unterlaß:
„Lieber Onkel, schenk’ uns was!“

1.
Jeden Tag schau’ ich auf das Kalenderblatt,
sehe nach, wer heut’ Geburtstag hat.
Ja, man nennt mich „Lieber Onkel“ nah und fern.
Leute, die was geben, hat man immer riesig gern!

2.
Früher, als ich nichts gehabt, war keiner da,
jetzt sind die entferntesten Verwandten nah.
Wenn sie mal Geburtstag haben, komm’n sie fix,
manche komm’n zweimal im Jahr – ich tu’, als merk’ ich nix.

3.
Meine Nichte ist fünf Jahr’, die macht mir Freud’
die sagt jede Woch’: „Ich hab’ Geburtstag heut’!“
Gestern sprach ich, als sie wieder bei mir war:
„Wenn du jetzt noch zweimal kommst, dann bist du hundert Jahr’!“

4.
Ich beschenke jedermann in Stadt und Land,
ich beschenk’ auch Leute, die ich nie gekannt.
Wer geburtstag hat, den sieht man zu mir geh’n,
nur wenn ICH Geburtstag hab’, dann läßt sich keiner seh’n.
 
Nr. 2  Couplet I

1.
Ich hab' 'ne Verwandte, 'ne ganz junge Frau,
die war stets mein Liebling, drum dachte ich schlau:
Sie hat bald Geburtstag, was schenke ich ihr?
'ne seidene Robe? 's wär' kleinlich von mir.
Brillanten und Perlen? 's wär' auch noch zu klein –
es müsste fürs Haus etwas teureres sein.
Drum schenk' ich dies Päckchen – ich sag' ihr: „Nimm's hin,
's ist teurer die alles, 's sind Zündhölzer drin.“

2.
Dem König Italiens wurde dieses gesandt –
wo England und Frankreich liegt, ist ihm bekannt.
Doch oft ist er schwach in der Geographie –
Wo Deutschland und Öst’reich liegt, weiß er fast nie.
Herrn Hollweg, dem Kanzler, dem schicke ich dies:
„Wie werd’ ich energisch?“ Da nimm es und lies.
Dem Kultusminister, dem schreibe ich schlicht:
„Hier – triff mal in’s Zentrum!“ – Er tut’s aber nicht.

3.
’nen Hut, riesengroß, kriegt ’ne Freundin von mir,
der ging hier nicht rein, liegt noch drauß’ vor der Tür.
Und auch dies Korsett kriegt sie, duftig und fein –
’s ist noch etwas groß, doch da wächst sie noch rein.
Mein Freund Itzig Cohn, depeschiert immer bloß:
„Ich hab’ bald Geburtstag, drum schicke mir Moos.“
Ja, so Leute wie Cohn hab’n gern Moos in der Hand,
drum wird’n sie auch „Kinder des Mo(o)ses“ genannt.
 
Nr. 3 Couplet II

1.
Mein lieber, alter Großpapa,
der neunzig schon gewesen,
kriegt jedes Jahr ein Telegramm,
darauf ist stets zu lesen:
„O bleib’ gesund – mir scheint, Du wirst
uns alle überleben.“
Dann sagt der Alte jedesmal:
„Ach, mög’s der Himmel geben!“

2.
Mein jüngster Neffe ist ein Jahr –
der kriegt etwas zu trinken.
Mein ält’ster Neffe ist Soldat,
der kriegt den schönen Schinken.
Vor’m Jahr schickt’ ich ihm ebenfalls
so’n roten, fetten, blanken –
Da schrieb er mir: „Der Unt’roff’zier,
der läßt sich schön bedanken!“

3.
Ein Fräulein, das ich gerne seh’,
kriegt diese schöne Bluse.
Sie sagt: „Zum Dank zieh’ ich sie an
und zuknöpfen darfst du se.“
Ich hab’ ’ne Tante, die gern schnupft –
die kriegt verschied’ne Prisen –
Wenn sie dafür ’nen Kuß mir gibt
muß ich ’ne Stunde niesen.

4.
Mein jüngster Vetter ist Student –
Der kriegt mein Bild – das schätzt er.
Das Bild, das hebt er ewig auf –
den Rahmen, den versetzt er.
’ne Frau von sechzig hat gefreit,
der schenk’ ich alter Heuchler
die Wiege hier – dann freut sie sich
und sagt verschämt: „Sie Schmeichler!“

5.
mein Patenkind ist Fähnrich –
der soll'n Monocle kriegen.
Er kann zwar nicht durch seh'n, jedoch
es macht ihm viel Vergnügen.
Ich sag': „Setz' dir's aufs linke Aug' –
nun schiebe los und wandre –
und wenn du mal was sehen willst,
dann guckst du durch das andre.“

6.
Meine Cousine liest sehr viel –
ein überspanntes Wesen –
die kriegt dies Buch – das einz'ge Buch,
dass Sie noch nie gelesen.
'ner Schwiegermutter schick' ich dies
Zepp'lin-Billett ganz munter.
Fragt sie dann: „Darf ich rauf?“ sag' ich:
„auf darfst du, bloß nicht runter.“

7.
Wenn Zeppelin Geburtstag hat,
dann schenk' ich ihm zum Lohne,
weil er der König von der Luft,
die starre Fürstenkrone.
Wenn Parseval Geburtstag hat,
kriegt er die lose Kappe –
denn sein System ist nicht so starr,
drum kriegt er bloß 'ne schlappe.

8.
Dem Prinzgemahl von Holland schick’
ich dieses kleine Thrönchen
und schreib’: „’ne Tochter habt ihr schon –
hier ist noch Platz für’s Söhnchen.“
Wenn Bülow mal Geburtstag hat,
kann er Zitate suchen.
Und für sein Mohrchen* schick’ ich ihm
ein Päckchen Hundekuchen.

9.
Hat die Otéro** Wiegenfest,
will ich dies Album geben.
Da sind die ganzen Männer drin,
die sie gekannt im Leben.
„Ach“, sagt sie, „jeden Einzelnen
behalt’ ich als Vermächtnis!“
„Was?“ frug ich, „Alle kennst du noch?
Was hast du für’n Gedächtnis!“

10.
Herrn Dernburg will ich diesen Ring –
ganz einfach – überlassen,
Brillanten hat er selbst genug,
er muss sie bloß noch fassen.
Herrn Krätke von der schnellen Post
will ich den Brief besorgen.
Wenn ich den heut' in'n Kasten steck',
dann hat er'n übermorgen.

11.
Der Eisenbahnminister kriegt
den „Simpel“ hier, den wüsten –
verboten hat er'n auf der Bahn,
jedoch ich wett', er liest 'n –
Der Herr Finanzminister kriegt
die Flasche, fest verschlossen.
Das sind die Trän'n, die wir bei der
Finanzreform vergossen.

12.
Dem Reichstagspräsident, dem schick'
ich dies – ich ließ ihn grüßen
und schrieb ihm, wenn ihm was nicht passt,
soll er den Reichstag schließen.
'nen Herrn vom Hansa-Bund, dem will
den Riemen ich spendieren –
sobald er nichts im Magen hat,
kann er in enger schnüren.

13.
Wenn Roeren*** mal Geburtstag hat,
der strenge Mann von Zentrum –
kriegt er die Venus – sieht er die,
dreht er sich im Moment ’rum.
Er läuft zur Polizei und stellt
mich vor ein strenges Forum.
Drum ist’s gut, ich bekleide sie
und dreh’ sie lieber so rum.

14.
Herrn Harden schicke ich dies Buch,
sein Mund ist scharf wie 'n Messer –
er sagt: „Von Bismarck brauch ich nichts,
das weiß ich alles besser.“
Wenn Eulenburg Geburtstag hat,
dann soll der Stuhl ihm nützen.
Sonst steht der Mann den ganzen Tag –
er kann doch auch mal sitzen.

15.
Die Haremsdamen krieg'n die
Heiratszeitung, weil sie frei sind.
Die krieg'n 'nen Mann, 's sind Dam'n dabei,
die noch so gut wie neu sind.
Durch Hoffmanns Stärke wird man stark,
die schenk' ich 'nem Eunuchen –
der sagt: „Ich weiß nicht, ob das hilft,
man kann's ja mal versuchen.“

16.
Den kleinen Perser Schah wär'n Krieg
ein angenehmer Kitzel,
drum kriegt der Schah dies Mützel hier,
dann hat er ein „Schahmützel“.
Der Olga Desmond – nackte Kunst –
schenk' ich dies dienstbeflissen.
's ist ihr Kostüm – wie man das trägt,
wird sie schon selber wissen.

17.
Sobald der Zar Geburtstag hat,
gibt’s keine Unterlassung –
Ich schick’ ihm dies und schreibe ihm:
„Komm’ nicht aus der Verfassung!“
Der Eduard**** kriegt dieses hier
vom Stoff – vom allerbesten –
Er schwärmt nicht nur für Nord und Ost,
er schwärmt auch sehr für „Westen“.

18.
Alfons von Spanien, der kriegt dies,
dann krümmt man ihn kein Härchen.
Bedroht man seine span'sche Wand,
nimmt er das span'sche Röhrchen.
Zwei Nordpolfahrer streiten sich –
hier ist 'ne Lind'rungsalbe –
die Nordpolspitze schenke ich –
ein jeder kriegt 'ne halbe.

19.
Dem König Serbiens schicke ich
zum Wiegensfest 'nen Panzer.
Zwar unvollkommen ist das Ding –
Sie seh'n, es ist kein ganzer.
Die Rüstung geht nur bis hierher, (auf den Rumpf deutend)
doch das ist auch schon schöne.
Wenn jetzt dem Peter was passiert,
dann geht's los in die Beene.

20.
Für Taft, den dicken Präsident,
da hab’ ich eine Rettung.
Amerikan’sches Büchsenfleisch
ist sehr gut für Entfettung.
Und für Bulgariens Ferdinand*****
hab’ ich zwei Taschentücher.
Die sind besonders groß gemacht –
entsprechend seinem Riecher.

21.
Dem Fürsten Montenegros will
Ich DIES und DAS bescheren.
Die beiden Sachen kann sein Heer
Im Kriege nicht entbehren.
Mit EINER Hand beschützen sie
sich vor dem äuß’ren Feinde
und mit DER Hand bespritzen sie
die innere Gemeinde.
 
Nr. 4  Schlußgesang


Seh’n Sie wohl, so schenk’ ich ich jedem dies und das –
Hab’n Sie mal Geburtstag, krieg’n Sie auch etwas.
Doch ich hab’ ’ne Bitte: Revanchier’n Sie sich!
Wenn ICH mal Geburtstag hab’, beschenken Sie auch mich.
Woll’n Sie dann vielleicht mal an mich denken
und mir an dem Tag viel Beifall – schenken?
Ja, nun glaube ich, daß mancher gern wüßt,
WANN denn nun eigentlich mein Geburtstag ist Kohlen
Doch das sag’ ich nicht, verehrte Leute –
aber Sie könn’n denken, es sei heute.

Anm.: Reihenfolge der zu diesem Vortrag erforderlichen Requisiten:
1. ein Adresskalender, der das jeweilige Datum des Vortragsabends trägt
2. ein großes Paket Streichhölzer
3. ein Globus (oder eine Landkarte) für den König von Italien
4. ein Buch mit der Aufschrift: „Die werde ich energisch?“
5. eine Schießscheibe (auf Pappe gemalt) für den Kulturminister
6. ein großes Korsett
7. ein Geldbeutel mit der Aufschrift: „1000 Mark für Cohn“
8. ein beschriebenes Telegramm-Formular
9. eine Milchflasche für den jüngsten Neffen
10. ein Schinken
11. eine Bluse
12. eine Schnupftabakdose
13. ein Rahmen mit Fotografie des Vortragenden
14. eine kleine Wiege
15. ein Monokel
16. ein Buch mit der Aufschrift: „Kochbuch“
17. ein großes Billett auf Pappe mit der Aufschrift: „Billett für eine Freifahrt mit dem Zeppelin“ (für die Schwiegermutter)
18. eine Krone
19. eine 2. Krone, deren Wölbung aber, wie aus der Couplet-Strophe hervorgeht, aus einer „unstarren“ Papierhülle besteht
20. ein kleines Thrönchen
21. ein Buch mit der Aufschrift „Bückmanns geflügelte Worte“ (für Bülow)
22. ein Paket mit der Aufschrift: „Hundekuchen“
23. ein Album
24. Ein einfacher Goldring
25. ein Eilbrief
26. ein Exemplar des Simplicissimus
27. eine Flasche mit der Aufschrift: „Tränen“
28. ein großer Schlüssel
29. ein langer Riemen
30. ein Bild, auf dem vorne eine Venus gezeichnet ist. Auf der Rückseite ist dieselbe Venus zu sehen, jedoch züchtig bekleidet
31. ein Buch mit der Aufschrift: „Bismarcks Erinnerungen“
32. ein Stuhl
33. eine Heiratszeitung
34. ein Paket mit der Aufschrift: „Hoffmanns Stärke“
35. ein kleiner roter türkischer Fez
36. ein auf Pappe gezeichnetes großes Feigenblatt (für Olga Desmond)
37. eine Verfassungsurkunde
38. eine recht bunte Weste
39. ein spanisches Röhrchen (für König Alfons)
40. eine teilbare Nordpolspitze (aus Pappe leicht herzustellen)
41. ein Panzer aus Pappe
42. eine Büchse mit der Aufschrift: „Amerikanisches Büchsen-Fleisch“
43. 2 sehr große Taschentücher
44. eine Zacherlingsspritze
45. Ein kleines Schießgewehr (beides für den Fürsten von Montenegro)


* Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow (1849-1929), Reichskanzler von 1900-1909, Mohrchen war sein Pudel in dieser Zeit
** Augustine Caroline Otero Iglesias (1868-1965), spanische Tänzerin, Sängerin und Mätresse unzähliger gekrönter Häupter, reicher Industriemagnate und berühmter Künstler
*** Hermann Roeren (1844-1920), Jurist und Reichstagsabgeordneter
**** Eduard VII. (1841-1910), ab 1901 bis zu seinem Tode englischer König
***** Ferdinand I. (1861-1948), 1887-1918 Fürst und dann König von Bulgarien

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