Der Sühneprinz

Original-Potpourri von Otto ReutterDer Sühneprinz

Teich/Danner Nr.66

(Der Vortragende tritt in chinesischem Kostüm, wie aus dem Titelbild ersichtlich, auf. Der Zopf muss derart dicht befestigt sein, dass er durch eine Schnur hochgezogen werden kann – Eine Chinesen-Perücke mit langem Zopf, bei welcher durch Ziehen an einer Schnur der Zopf in die Höhe steigt, ist durch die Verlagshandlung für Mk. 2,50 zu beziehen [*natürlich damals, 1900, bei dem Verlag Otto Teich])

Freuet euch, ihr lieben Leute,
dass ich zu euch komme heute.
Meine Heimat liegt noch hinter Palästina,
denn ich bin der kleine Sühneprinz aus China.
Ja, Sie haben es wohl gelesen,
was die Ursach ist gewesen,
dass man nicht hat ausersehen,
auf die Reis' zu gehen,
jeden an zu flehen:
was bisher geschehen,
dieses tut uns weh!
Ach, weil wir vieles Böses taten,
kamen zu uns die Soldaten –
und zu unserem Hauptverdrusse
ganz zum Überflusse –
nach dem letzten Schusse –
gerade vor dem Schlusse –
kam der Waldersee!!
Der Waldersee saß, wie bekannt,
im Hause von Asbeste,
denn gegen Feuer, dachte er,
ist so etwas das Beste.
Doch als sein Haus dann abgebrannt,
freut er sich ungeheuer:
an jenem Tag stand er ja
zum 1. Mal im Feuer!
Mein Bruder ist chines'scher Kaiser –
doch leider hat er wenig Glück,
denn andere Kaiser sind viel weiser –
nehm'n seinem Land so manches Stück.
Vorbei sind Freiheit, Glück und Wonne,
denn jeder Staat – das ist nicht schön –
sucht sich 'nen Platz an unserer Sonne,
bis dass wir ganz im Schatten stehn!
„Ach, man nimmt mir alle Länder!“
Ruft mein Bruder voller Zorn –
„Bald bleibt nichts und wo nichts da ist,
hat der Kaiser 's Recht verlor'n!“
Man nennt ihn den Sohn des Himmels.
Dieser Spruch mir sehr gefällt.
Ja, er ist bald Sohn des Himmels:
sein Reich ist nicht auf dieser Welt!
Sie wissen: der Frieden
Wart uns jetzt beschieden.
Nun hieß es allgemein:
ich müsst nach Deutschland rein!
Und als ich nun anfing
und weg ging von Nanking
nach Peking, da sagte
mein Bruder noch zu mir:
„Ach lieber Tschun, Tschun, Tschun,
bist noch so jung, jung, jung,
bist noch so'n Jüngelingeling,
So'n kleines Ding!“
„Bleib nicht zu lang, lang, lang.“
Sprach Li Hung Tschang, Tschang, Tschang.
„Macht nicht Kotau,tau, tau,
sonst gibt's Radau!“
In fiedelster Weise
ging's nun auf die Reise –
Ach, das war für mich ein eigener Reiz
zu der ernsten Sühne
ging's mit froher Miene. –
Ja, von China ging es bis zur Schweiz
Ach, dort war es prächtig,
stets dortbleiben möcht ich –
darum rief ich auch in Basel bald:
„Wir sind jetzt weit genug –
wir haben ja Zeit genug –
ich bitt um 5 Minuten Aufenthalt!“
Da kamen 2 Gesandte zur Bahnhofstation. –
O je!
Die sagten: „In Deutschland, da warten Sie schon!
– Ach nee! –
Sie baten: „Kommt mit nach Berlin, sei gescheit
und mach dort Kotau, dann ist alles all right!“
Da frug ich: „Wie wird das gemacht?“
Sie sagten: „Nun gibt einmal Acht!
Mit den Händchen Klapp, Klapp, Klapp
mit den Füßchen Trapp, Trapp, Trapp,
9 mal hin, 9 mal her,
rings herum, das ist nicht schwer!“
„Das,“ frug ich, „verlangt ihr von nem Prinz?
Sagt noch mal, wie viel Verbeugungen sind's?“
Sie sagten: „Neun!“
Ich sagte: „Nein!
Ich, ein Prinz aus fürstlichen Geblüte,
neunmal verbeugen – ich – nicht in die Tüte!“
(Anm.: bei dem hohen Ton des letzten Wortes zieht der Vortragende den Zopf hoch empor)
ich sprach: „Bei euch im Deutschen Reich,
da huldigt man den Brauche,
verschied'ne Menschen gibt's bei euch,
die kriechen auf dem Bauche.
Verzeiht, wenn ich den Sühneakt
nicht durch Kotau ergänze.
Ich bleib in Basel – ich hab Takt
und gehe nicht über die Grenze!“ –
Nun saß ich in der freien Schweiz
vergnügt und pro beim Tee.
Doch bald, da kam ein Telegramm
vom grünen Strand der Spree:
„Komme doch, komme doch, kleiner Schäker!
Komme doch, komme doch nach Berlin!
Brauchst ja kein Kotau zu machen,
alles wird ihr so verziehen!“
Na, dann woll'n wir noch einmal,
woll'n wir noch einmal,“ rief ich ganz schlau,
„Auf nach Canossa aber ohne Kotau!“
Und in Berlin verlas ich nun
den Brief aus gelber Seide.
(Anm.: der Vortragende holt das gelbe Plakate hervor, auf welchem in grotesken Buchstaben die Worte: Es tut uns leid! stehen.)
„Es tut uns leid, ich sag's ernster Miene –
es tut uns herzlich leid, gibt alle Acht!
Es tut uns leid, dass ich – ein Prinz – zur Sühne
auf euren Wunsch mich auf den Weg gemacht.
Es tut uns leid, dass wir die Kosten tragen –
es tut uns leid, dass ihr uns habt geschlagen –
ja, dass ihr überhaupt gekommen seid,
das tut uns leid – das tut uns leid!“
(Anm.: bei dem letzten Wort geht der Zopf abermals in die Höhe)
als ich den Brief gelesen hab, hat alles laut gelacht,
ein jeder war zufrieden, ich hab alles gut gemacht –
nur der Finanzminister sprach zu mir: „Ich hab gedacht,
du hätt'st uns auch die Kriegsentschädigung gleich mitgebracht!“
Man lud mich auch zum Essen ein. Ich sprach: „Sie seh'n bei mir
zwar noch chines'chen Regenwurm und kalte Mäuse hier –
doch trotzdem setz ich mich zu Tisch und ess ein deutsch Gericht.
Ich esse Fleisch, ich ess auch Fisch, nur'n Bückling mag ich nicht!
Als ich aus dem Schloss herausging, ach, da war ich ganz gerührt –
die Musik, die hat gespielt und's Militär hat präsentiert.
Die Berliner standen draußen und die schrie'n: „Er lebe hoch!
Siehste Tschun, Tschun! Ohne Bauchtanz geht es ooch!“
Nun besah ich mir Berlin, man sah mich im Rathaus drin
und auch zum zoolog'schen Garten geh'n.
Ging an der Sieges-Allee vorbei,
wo die Fürsten Reih an Reih alle voller Weisheit steh'n.
Wer was gutes mir getan, kriegt ne Portion Porzellan –
das hab ich aus China mitgebracht.
Ward populär im Handumdrehen –
selbst die goldene Hundertzehn
hat auf mich nen Vers gemacht.
Jawohl, ich muss gestehen:
selbst Nachts bin ich zu sehen –
da amüsier ich mich –
mein Bruder sieht's ja nicht
jüngst in nem Ball-Lokale
da kam mit einem Male
zu mir ne ganze kleine Frau
und sprach: „Mach mal Kotau!“
Wo ich sonst noch war, hab'n Sie gelesen –
selbst bei Wertheim bin ich schon gewesen,
das Allerbilligste sucht ich mir da heraus,
dass kaufte ich für Li Hung Tschang, der gibt nicht gern was aus!
So zieh als Prinz ich von Chinesien
durch alle Länder Und klein –
und wenn ich über all gewesien,
dann pack ich meine Sachen ein –
und zieh', welch Glück – nachhause zurück.
Da steht schon zum Empfang
der alte Li Hung Tschang.
Der sagt zu mir dann: „Bitte schön –
wie heißt das schönste Land, dass du geseh'n?“
Dann stimm' ein Lied ich an, so laut ich kann:
„Deutschland, Deutschland über alles,
dich preis' ich ohne Ruh und Rast –
ist am schönsten jeden Falles,
and're Namen sind verblasst.
Deutschland hat die meisten Steuern
und das schönste Militär –
Deutschland muss mein Bruder sehen,
nächstens kommt er selber her!“