Gib du mir dein's, ich geb' dir mein's!

Original-Couplet von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.183

1.
Der Eduard, die Kunigunde,
Die komm'n zum Rendez-vous herbei.
's war um die zehnte Abendstunde
Im wunderschönen Monat Mai.
Im Mai, als alle Knospen sprangen,
Sprang auch die Knospe Eduard's.
Er frug sein Mädel voll Verlangen:
„Willst du mein Schatz sein?"   Und sie ward's.
Er bat in wildem Liebesschmerze:
„O schenk' auf ewig mir dein Herze.
Gib du mir dein's, ich geb' dir mein's,"
Sagt Eduard zur Kunigunde.
„Gib mir 'nen Schmatz!"  „Recht gern mein Schatz".
Die Lippen treffen sich zum Bunde.
„Jetzt bin ich dein" — „Und du bist mein." —
„Auf ewig", tönt's aus beider Munde.
O Ewigkeit, o kurze Zeit —
Du dauerst oft nur — eine schwache Stunde.

2.
Die sozialen Demokraten,
Die pred'gen, wir soll'n Brüder sein.
Wir soll'n des Reichtums uns entraten,
Es heißt: „Was mein ist, sei auch dein."
Nun fuhr Herr Singer jüngst spazieren.
Man weiß, der Herr hat sehr viel Geld.
Da ging, teils fechten, teils hausieren,
Ein armer Schlucker durch das Feld.
Der winkt Herrn Singer zur Chaussee hin
Und hält ihm's leere Port'monnaie hin.
„Gib du mir dein's, ich geb' dir mein's,
Nun laß uns teilen wie zwei Brüder.
Du siehst, ich tu's — nun tu' auch du's.
Du kriegst von mir die Hälfte wieder.
Dein Auge spricht, du willst es nicht —
Ich seh', das ist bei dir der Brauch nicht.
Wir soll'n — ich mein' — doch Brüder sein —
Mir scheint, du bist der beste Bruder auch nicht"

3.
Es trafen sich in Swinemünde
Der deutsche Kaiser und der Zar.
Gestatten Sie, daß ich verkünde
Die Reden von dem Kaiserpaar.
Der Kaiser sprach: „Was mag dich quälen?
Du schaust so trübe und so bleich?
Du bist doch Zar, hast zu befehlen
In einem riesengroßen Reich.
Dein Land ist größer als das meine."
Da sprach der Zar: „Trau nicht dem Scheine.
Gib du mir dein's — ich geb' dir mein's —
Das ist ein Unterschied, ein krasser.
In meinem Land ist's sehr riskant.
Mich hält das Wasser über Wasser,
Du fährst umher durch Land und Meer.
Ich sitz' versteckt in meinem Häuschen.
Nun siehst du ein: Mein Land ist klein."
Damit verschwand das arme Nikoläuschen.

4.
Jüngst sah ich einen Engeländer
Bei einem deutschen Manne steh'n,
Der sprach zum Deutschen: „Du Verschwender,
Ich hab' dein Schiff mir angeseh'n.
's ist halb so groß schon als das meine.
O," sprach er friedlichen Gesichts.
„Ist mein's auch größer als das deine,
Du siehst, mein Schiff heißt: Fürchte nichts.
Dein Schiff genügt," so sprach der Britte.
Der Deutsche sprach: „Ich hab' 'ne Bitte:
Gib du mir dein's, ich geb' dir mein's."
So sprach der Deutsche halb im Spotte.
„Du suchst nie Streit, kennst keinen Neid,
Was brauchst du da die größ're Flotte?
Ich traue dir so, wie du mir,
Da liegt ein Krieg in weiter Ferne.
Ich liebe dich so, wie du mich.
Nun sei mir böse oder — hab' mich gerne."