Da ist der eine, wie der andre
Original-Couplet von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.247

1.
'ne Mutter sagt mir unter Tränen:
„Mein Töchterlein ist jung und schön,
Wird angeschwärmt von hundert Männern,
Die Ihre Liebe ihr gestehn.
Doch wenn ich von der Heirat rede
Und wenn ich sag': „Sie hat kein Geld —
Doch sie ist besser als wie jede —
Ist mir das Liebste auf der Welt" —
Dann ist der eine, wie der andre —
Dann sagt ein jeder voller Schmerz:
„Ich soll das Liebste Ihnen rauben?
Das bring' ich niemals übers Herz."

2.
Gäbst du dein Geld mit vollen Händen,
Dann bist du überall beliebt.
Der Mensch hat stets die meisten Freunde,
Der niemals nimmt und immer gibt.
Wenn du was hast, da komm'n sie alle —
Da hast du stets Besuch im Haus.
Doch brauchst du was — in diesem Falle,
Da weichen sie dir alle aus.
Da ist der eine, wie der andre —
Hast du dann einen mal erwischt
Und du erklärst ihm deine Lage,
Dann weint er — doch er gibt dir nischt.

3.
Wie sind die Reichstagskandidaten
So klein, bescheiden vor der Wahl.
„Nur Euer Wohl liegt mir am Herzen,"
So reden sie in jedem Saal.
Woll'n alles in die Wege leiten,
Sie wissen, was dem Wahlkreis fehlt —
Sind freundlich zu den kleinsten Leuten —
Doch sind die Herren dann gewählt,
Dann ist der eine, wie der andre —
Sie hol'n sich die Diäten dann —
Sie richten ihren Blick nach oben
Und schau'n die Wähler nicht mehr an.

4.
Marie, 'ne sehr perfekte Köchin,
Die hätte gerne einen Schatz.
Am liebsten hält' sie 'n Infant'risten,
Der fand' in ihrem Herzen Platz.
Nicht länger soll ihr Herz sich quälen.
Sie geht zum Exerzierplatz raus,
Um sich den schönsten auszuwählen.
Da ruft sie voll Entzücken aus:
„Da ist der eine, wie der andre!
Wie schön ist doch die Infant'rie.
Die Wahl fällt schwer — da ist das beste,
Ich nehm' die ganze Kompagnie."

5.
Aus England komm'n oft Tänzerinnen
Am Variete als Schwestern raus.
Meist sind es fünf — sie seh'n sich ähnlich.
Bei Tage seh'n sie anders aus.
Da ist die Ähnlichkeit geringer —
Die eine häßlich, eine schön,
Die eine alt, die andre jünger--
Doch wenn sie abends oben stehn,
Dann ist die eine, wie die andre.
Sie haben alle blondes Haar,
Sind alle schön — sind alle Schwestern —
Und alle fünf sind achtzehn Jahr*.

6.
Auf unsrer deutschen Speisekarte
Da liest man oft: „Beuf à la Mode."
Dann gibt's ein „Filet à la Nelson".
(Der Mann der ist schon  lange tot)
's gibt auch ein „Beefsteak à la Maier" —
(Von welchem Maier mag das sein?)
Der Unterschied scheint ungeheuer —
Wählt man nun eines von den drei'n,
Dann ist das eine, wie das- andre.
Der Unterschied ist minimal.
`s ist alles von demselben Ochsen —
Sogar die Saucen sind egal.

7.
'nen sogenannten „bessern" Gauner,
Den sperrt man ins Gefängnis ein.
Er muß mit andern armen Schächern
In eine große Zelle 'rein.
Als man das Essen ihm gegeben,
Sprach er: „Ich speis' nur Table d'hote,
Von diesem Fraß kann ich nicht leben."
Da hat der Wärter ihm gedroht:
„Hier ißt der eine, wie der andre —
Hier, nimm Dein Wasser — hier Dein Brot
Und kannst Du von dem Fraß nicht leben,
Dann friß Dich an der Table tot"

8.
Wie sind die Mädchen vor der Hochzeit
So hold, so zart, so lieb, so süß.
Sie sagen zu dem künft'gen Manne:
„Ich schaffe Dir ein Paradies.
Bist Du auch grob und voller Mängel —
Ich werde sanft wie'n Engel sein" —
Doch nimmt der Mann sich dann den Engel,
Da fällt er meistens gründlich 'rein.
Da ist die eine, wie die andre —
Dann jammert der enttäuschte Mann:
„O, lieber Engel, fliege weiter !"
Jedoch der Engel denkt nicht dran.

9.
Herr Kämpf, der ist jetzt Präsidente —
Als man die Stimmen nachgezählt,
Ergab sich eine Stimme Mehrheit.
Er wurde einstimmig gewählt
Zum Scheidemann da sprach man: „Scheide!"
Dafür setzt sich Herr Paasche hin.
Kämpf, Dove — liberal sind beide —
Und Paasche, der sitzt mitten drin.
Hier sitzt, der eine, hier der andre.
Nur Paasche, der ist national.
Er denkt: am besten ist's, ich wand're,
Sonst werd' ich auch noch liberal.

10.
Der Deutsche und der Engeländer —
Das wiederholt sich jedes Jahr —
Die reichen sich die Hand und schwören:
„Wir woll'n uns lieben immerdar.
Der eine darf dem andern trauen.
Der Frieden ist uns angenehm.
Drum woll'n wir keine Schiffe bauen" -
Und heimlich dann — trotz alledem,
Da baut der eine, wie der andre.
Sie rüsten beide sich geschwind —
Und dann tun beide sehr entrüstet,
Daß sie noch nicht — „entrüstet" sind.

11.
Einst' sang man oft das schöne Liedchen:
„Dann gehn wir ins Kasino hin."
Heut* sing'n in jeder Stadt die Leute:
„Jetzt gehen wir ins Kino hin;""
Gern tu' ich in so'n Kientopp wandern,
Die Bilder dort sind grausig schön.
Doch geh` ich dann mal in 'nen andern,
Um mal ein andres Bild zu seh'n,
Dann ist das eine, wie das andre.
Ach, überall, wo ich erschien,
Da gibt's dieselbe Mordsgeschichte,
In jedem Topp derselbe Kien.

12.
„Lehr' einer mich die Männer kennen,"
So klagt betrübt ein Mägdelein —
„Sie woll'n nur küssen und genießen —
Und lassen uns im Schmerz allein.
Erst kommen sie in hellen Scharen —
Doch wenn man einen nötig braucht —
Ich hab's am eig'nen Leib erfahren —
Dann ist die Leidenschaft verraucht
Dann ist der eine, wie der andre —
Erst schwören sie: ,Auf ewig Dein!*
Und wenn sie später schwören sollen,
Dann will's kein Mensch gewesen sein."

13.
Oft sagt man mir: „Die Sozialisten,
Die nehmen schrecklich überhand.
Ums Himmels willen — wenn's jetzt Krieg gibt,
Wer schirmt dann unser Vaterland?"
Nur keine Angst — die ganzen „Roten",
Wenn sie auch schimpfen immerdar,
Im Herzen sind sie Patrioten--
Wenn unser Deutschland in Gefahr,
Dann ist der eine, wie der andre —
Ob er nun blau ist oder rot
Dann kommt selbst Bebel mit dem Säbel
Und schlägt die ganze Bande tot

Dacapo-Vers.

Noch einen Vers will ich jetzt bringen
Hier auf das Publikum geschwind.
Das ist sehr dreist, weil hier im Saale
Wahrscheinlich viele Sozis sind.
Trotzdem behaupteten ohne Zagen:
Daß jeder seine Freude hat
An unserm Reich — ich will mal sagen,
Der Kaiser käm` in diese Stadt,
Dann wär` der eine, wie der andre —
Da stellen sie sich alle ein,
Und die, die jetzt am meisten schimpfen —
Hört man am lauteten „Hurra" schrei'n.

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