Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
Original-Couplet von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.269
1.
Auf der Welt wird's immer schlimmer,
überall herrscht Traurigkeit.
Darum denken alle immer
an die gute, alte Zeit.
Schrecklich sind die Zeiten heute –
voller Kummer schrei'n die Leute:
„Wie's uns geht, ist ungerecht –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
2.
Seh'n Sie bitte mal die Kleider
unsrer armen Damen an.
Unten eng - und oben - leider –
hab'n sie manchmal auch nichts an.
Früher ging'n sie fest geharnischt,
heute trag'n sie beinah' gar nischt –
Ob'n und unten reicht's nicht recht,
ach, wie sind die Zeiten schlecht!
3.
Dünn sind heut' die meisten Frauen
–
durch die Zeiten werd'n sie schmal.
Ach, was konnt' man früher schauen
Formen, voll, pyramidal!
Ging man um die „Pyramide“
dreimal rum, dann war man müde. –
Heute: Dünn wie'n Korbgeflecht –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
4.
Unsre Frau'n hab'n wenig Freude,
was Sie trag'n, ist eitler Tand.
Trag'n oft imitierte Seide,
falsche Ringe an der Hand.
Falsche Reiher auf dem Kopfe,
falsche Spangen in dem Zopfe,
nicht einmal der Zopf ist echt –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
5.
Sarah Bernhardt kriegt 'nen Orden
und man sprach zu ihr: „Du musst
zeigend, was du jetzt geworden. –
Träg' mit Stolz ihn – auf der Brust!“ –
Nun schaut sie – 's ist herzbewegend –
auf die nicht vorhand'ne Gegend,
wo sie'n gerne tragen möcht' –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
6.
Früher reisten Eheleute
stets zu zweien durch die Welt.
Meist alleine reist er heute,
denn für zweie fehlt das Geld. –
Schließlich weg'n der hohen Preise
macht nur er die Hochzeitsreise
und sagt, wenn Sie mit ihm möcht':
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
7.
Für die Dienstmagd-Krankenkassen
wird viel Geld von uns geschnappt –
will sie'n Zahn sich ziehen lassen,
kommt der Hausherr und berappt.
Kriegt sie'n Kind, wird ihm verkündigt:
„Hast du auch nicht mit gesündigt,
einerlei – es wird geblecht.“ –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
8.
Eine Mutter - Gram im Herzen -
sagt zur jungen Männerschar:
„Unsere Töchter wollt ihr herzen,
küssen, lieben immerdar –
Aber reden dann wir Mütter
von der Heirat - dann wird's bitter –
dann verduftet ihr und sprecht:
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
9.
Früher hatte mancher Gatte
ein Verhältnis nebenbei –
gab ihr, was er übrig hatte,
denn sonst blieb Sie ihm nicht treu.
Heute muss er das entbehren,
er kann kaum die Frau ernähren. –
Die kriegt, was die andre möcht'.
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
10.
Der Prinz Wied zog nach Albanien
und er seufzt: „Mir ist nicht wohl,
viel zu heiß sind die Kastanien,
die ich aus dem Feuer hol',
Land und Leute hab'n den Dalles –
hier im Schlosse fehlt mir alles –
und die Kasse ist geschwächt,
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
11.
Siegfried Wagner's Schädel hämmert –
und er ruft: „Das ist mir neu!
's gibt kein Geld – das ist belämmert –
Vaters Werke wurden frei!
Bald werd' ich den Dalles merken,
wenn ich mit den eigenen Werken
mühsam ich durchs Leben fecht'! –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
12.
Leutnant auf der Promenade –
trägt Monokel, wie man weiß.
„Ja“, sagt er, „die Glas-Fassade
trag' ich weg'n dem bill'gen Preis.
Möcht' gern mit zwei Gläsern prahlen,
doch ich kann nur eins bezahlen –
für 'nen Klemmer langt's nicht recht –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
13.
Selbst der Sperling auf der Erde
jammert voller Traurigkeit:
„Früher gab's 'ne Menge Pferde –
ach, war das 'ne schöne Zeit!
Heute, wo die Autos fliegen,
riecht's Benzin, doch's bleibt nichts liegen,
unser Magen ist geschwächt –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
14.
Ein Student, oft durchgefallen,
sitzt im Wirtshaus lange schon.
„Vater,“ hört man leis ihn lallen,
„mühst dich ab für deinen Sohn.
's geht dir schlecht, du mußt dich plagen
noch in deinen alten Tagen. –
„Kellner, Sekt!“ ruft er bezecht,
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
15.
Voller Trauer sagt der Vater:
„Alles wird besteuert heut',
man besteuert im Theater
jetzt sogar die Lustbarkeit.
War das Stück auch gar nicht lustig –
ganz egal - bezahlen mußt’ ich –
Und dann lacht der Staat erst recht –
ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
16.
Fürs Theater langt's ist heute –
drum geht man ins Kino rein –
Nur Caruso zieht die Leute
ins Theater noch hinein.
Wenn der kommt, dann sag'n die willig:
„zwanzig, dreißig Mark – 's ist billig –
vierzig – fünfzig – 's ist uns recht! –“
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
17.
früher, als das Geld uns schnuppe,
ward geschwelgt jahraus, jahrein –
heute: zu 'nem „Löffel Suppe“
legt man nur die Leute ein.
Kommt man hin, dann jammert mancher,
's gibt nur Braten, Wein, Champagner,
Austern, Kaviar, Lachs und Hecht –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht! –
18.
Manche Überraschung hat der
Generalpardon gebracht,
uns're Börse wird stets matter,
der Finanzminister lacht –
und er sagt: „Habt ihr gelogen!
Hat den Staat ja schon betrogen!
Nun mal ran! Jetzt wird geblecht!“
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
19.
Mancher Landwirt aus Ostelbien
kommt geschäftlich nach Berlin –
suchst du dorthin dann denselbigen:
in der Bar, da triffst du ihn –
siehst ihn bei 'ner Dame hocken –
Kehle feucht und Henkell trocken –
und er seufzt mit vollem Recht:
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht! –“
20.
Ach, nicht nur den armen Leuten
fehlt es an den nöt'gen Draht.
Überall gibt's schlechte Zeiten. –
Mancher hohe Potentat
muss mit Kacheln aus Kadinen
sich was nebenbei verdienen
und hat selbst sein Holz zurecht.
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
21.
Früher war'n - das laß ich gelten –
noch 'ne Menge Kinder da.
Heute sind die Kinder selten
und – noch selt'ner der Papa!
Früher hatten unsre Kleinen
allermindestens doch einen –
heut' ist kaum die Mutter echt.
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!
22.
Traurig klappert mit dem Schnabel
jetzt der Storch und jammert sehr:
„Das Geschäft geht miserabel –
keiner will jetzt Kinder mehr.
Wo ich hinkomm', gibt's Theater.
,Flieg' nur weiter', sagt der Vater,
wenn ich gern was Kleines brächt –
Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
23.
Ja, zum Küssen, wie Sie wissen,
braucht man Lust und Fröhlichkeit.
Will man jetzt die Frau nicht küssen,
schiebt man's auf die schlechte Zeit.
Damit kann man sich entschuld'gen;
will die Frau der Liebe huld'gen,
sagt er, wenn sie'n küssen möcht':
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“
24.
Ja, man jammert auf der Erden
immerfort, ich wette drauf:
Mag die Zeit auch besser werden,
hört das Klagen doch nicht auf.
Mag auch Gutes nur geschehen,
mag's uns noch so wohl ergehen,
immer heißt's - hab' ich nicht recht? –
„Ach, wie sind die Zeiten schlecht!“